Peter Faber (1506 bis 1546) war bis vor kurzem einer jener Jesuiten der Anfangszeit des Ordens, die zwar innerhalb der Gesellschaft Jesu hoch geachtet, außerhalb jedoch kaum bekannt waren. Als großer Seelsorger und Exerzitienleiter wurde er durch Papst Pius IX. 1872 seliggesprochen, aber sein Wirken, seine geistliche Gestalt und auch seine Sprache erschienen zu speziell und zu zeitbedingt, um heute breitere Kreise anzusprechen. Dies änderte sich schlagartig, als Papst Franziskus überraschend und die üblichen Verfahren überspringend Peter Faber am 17. Dezember 2013 heiligsprach. Offensichtlich hat der Papst eine große Verehrung für seinen Ordensbruder und sieht ihn als Vorbild und Anreger für die von ihm gewünschten Kirchenreformen. In Interviews und Predigten kam er wiederholt auf ihn zu sprechen. Welche Züge Peter Fabers begeistern den Papst? Wie hat Peter Faber - in einer kirchlich wahrhaft zerrissenen Zeit - reformierend gewirkt? Was will Papst Franziskus mit Verweis auf Peter Faber der Kirche heute sagen? Inwiefern kann die Gestalt Fabers unsere Kirche, insbesondere im deutschsprachigen Raum, in ihrem Reformbemühen inspirieren?
Ein Blick auf sein Leben: Pierre Favre - so die französische Namensform - wurde 1506 in einer Bauernfamilie in Le Villaret (Savoyen) geboren. Er wuchs in einer volkstümlichen und sehr tiefen Frömmigkeit auf. Früh fielen seine spirituelle Neigungen und seine hohe Intelligenz auf. Er wurde auf eine Leiteinschule geschickt und studierte anschließend in Paris Philosophie und Theologie. Im Collège Sainte-Barbe hatte er als Stubengenossen Franz Xaver und Ignatius von Loyola. Von letzterem tief geprägt, machte er Exerzitien und gründete mit den beiden anderen einen schnell wachsenden Freundeskreis. 1534 zum Priester geweiht, zelebrierte er die Messe, in der am 15. August 1534 sieben Freunde - außer ihm waren alle Laien - ein Gelübde ablegten, das später zur Gründung des Jesuitenordens führte. Angekommen in Rom, wurde Peter Faber sehr bald vom Papst und später auch von seinem Oberen Ignatius ausgesandt: zunächst nach Parma, später nach Worms und Regensburg, Mainz und Köln, dann nach Spanien, zuletzt zum Konzil von Trient. Er führte Religionsgespräche mit Anhängern der Reformation, hatte diplomatische Aufträge, war aber vor allem vielfältig als Prediger und Exerzitienleiter tätig. Oft war er nur kurz an einem Ort und erhielt sogleich einen neuen Auftrag. Das rastlose Arbeiten und die ständigen Reisen quer durch Europa - meist zu Fuß - erschöpften ihn so sehr, dass er bei einem Zwischenhalt in Rom mit nur 40 Jahren starb; beratend am Konzil von Trient teilnehmen, wie es vorgesehen war, konnte er nicht mehr.
Die notwendige Reform der Kirche sah Peter Faber weniger als theologisches, sondern als pastorales Problem. Daher suchte er weniger die Dispute mit "Gegnern", sondern engagierte sich für eine solide innere Reform der katholischen Kirche. Über Seelsorge, vor allem über Seelsorge an Seelsorgern, die glaubwürdig den Glauben vorleben sollten, suchte er die Menschen zu "bekehren". Er selbst hatte zweifellos eine starke mystische Anlage, sein geistliches Tagebuch schreibt er aus intensiven Gebetserfahrungen. Seine Persönlichkeit wird als eher zurückhaltend, fast schüchtern, aber immer als sehr aufmerksam geschildert. Er neigte aber auch zu Selbstzweifeln, zu Skrupeln und zu depressiven Zuständen und Ängsten. Er berichtet selbst, dass er stark die Fehler anderer beobachte, sie verdächtige und verurteile. Dahinter stehen wohl - in heutiger Deutung - Gefühle von Minderwertigkeit, auch Perfektionismus und Überverantwortlichkeit. Seine Gestalt ist komplex und heute schwer fassbar, trifft sich aber in einigen Zügen überraschend mit modernem Lebensgefühl.
Papst Franziskus nennt in seinem großen Interview, das er im August 2013 Antonio Spadaro SJ für mehrere Jesuitenzeitschriften gab, sieben Züge Peter Fabers, die er besonders schätzt und heute der Kirche wünscht. Ich nenne sie und deute sie aktualisierend ein wenig aus:
Wie kann man sich die "Methode" des Peter Faber vorstellen? Berichtet wird, wie er etwa in eine Stadt kam, in einem Armenhospiz oder in einem kirchlichen Haus Quartier nahm, im Auftrag des Papstes oder des Jesuitengenerals mit mehr oder weniger mächtigen Herren redete - meist mit wenig Erfolg - und wie er zugleich zu predigen begann, Beichte hörte, einigen Menschen Exerzitien gab. Offensichtlich hatte seine Seelsorge mehr Erfolg als seine Diplomatie: Die Menschen strömten ihm zu, sie begannen sofort, ihr Leben zu ändern, gaben Reichtümer den Armen, ordneten Familiäres, die Priester gaben ihre Konkubinen auf - man fragt sich allerdings, was mit den armen Frauen geschah - und in den Kirchen fanden Gottesdienst, Gebet und Katechese wieder statt... Vorstellen kann man sich heute diesen "Erfolg" kaum. Offensichtlich gab es damals in deutschen Städten einen ungeheuren geistig-geistlichen Durst und niemanden, der ihn stillen konnte. Die Priester waren ungebildet, sie predigten und unterrichteten nicht, sie konnten nicht Beichte hören oder Menschen begleiten, sie waren - sicher oft auch aus Not - mehr mit sich und ihren materiellen und familiären Angelegenheiten beschäftigt. Peter Faber traf mit seinen im Grunde sehr einfachen pastoralen Mitteln auf ein drängendes Bedürfnis. Selbst war er gebildet, fromm, eifrig und glaubwürdig - in der Sprache der Zeit: ein "reformierter Priester".
Papst Franziskus stützt sich in seinem Interview auf Michel de Certeau (1925 bis 1986), einen französischen Jesuiten, Spezialist für Mystik und Kulturgeschichte, der das geistliche Tagebuch ("Memoriale") von Peter Faber übersetzte und kommentierte. In de Certeaus Deutung Peter Fabers ist "preti riformati" der Schlüsselbegriff: Für diesen reformierten Priester - so fasst Spadaro den Papst zusammen - sind "innere Erfahrung, dogmatische Formulierung und Strukturreform eng und unlösbar miteinander verbunden". Offensichtlich war dies das Geheimnis seiner "Kirchenreform": selbst sich zu "reformieren" und dann einfache Seelsorge - Unterweisung, Sakramente, Begleitung... - zu betreiben. Übrigens scheint dies ein Ansatz aller großen Religionen zu sein: Der Mensch muss sich selbst reformieren, dann wird er wie von selbst seine Glaubensgemeinschaft und die ganze Welt reformieren und sie also gläubiger, liebevoller, friedlicher zurücklassen.
Das Wort "glaubwürdig" kommt bei Peter Faber übrigens nicht vor. Heute meint man in der Kirche vielfach, wieder glaubwürdig erscheinen zu müssen, also arbeitet man am glaubwürdigen Auftritt, macht Image-Kampagnen, Marketing... Die Kirche soll aber nicht glaubwürdig erscheinen, sondern sie soll es sein, und das wird sie nicht, indem sie sich mit Glaubwürdigkeit beschäftigt, sondern indem sie sich reformiert, also wertschätzend und partizipativ, transparent und bescheiden, barmherzig und liebevoll lebt und wirkt. Kein Wunder, dass Papst Franziskus immer wieder, bisweilen mit Verweis auf Peter Faber, die Priester zur Umkehr mahnt, denn nur "reformierte" Priester wirken. Und was im 16. Jahrhundert für Priester galt - andere Menschen als Verkündiger oder Seelsorger konnte man sich in jener Zeit nicht vorstellen - das gilt heute für jeden Christen und für jede Christin, der oder die entweder im ausdrücklichen kirchlichen Auftrag oder einfach durch christliches Leben die Botschaft der Liebe bezeugen.
Dass Menschen in ihrer Persönlichkeit oder in ihren Begabungen begrenzt sind - Peter Faber ist dafür ein deutliches Beispiel - ist weniger relevant; solange sie sich ganz von Gott durchdringen und in Dienst nehmen lassen, kann ihr Wirken enorm fruchtbar werden. Dass man an und mit "Strukturen" und an und mit der "Lehre" arbeiten muss, ist wichtig, aber ebenfalls nicht das Zentrum; auch dafür sind Peter Faber und - in ähnlicher Weise - Papst Franziskus Beispiel; beide wirken zunächst und vor allem durch treffende Worte, durch bewegende Symbole und durch ihre "reformierte" Person.
Stefan Kiechle SJ
provinzial.ger(at)jesuiten.org
Pater Stefan Kiechle SJ ist seit dem 1. September 2010 Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten.
Dieser Text ist in der Herder Korrespondenz 68. Jahrgang (2014), Heft 4, S. 192-195 erschienen.
Der Herr möge Euch Seinen besten Schatz, den Himmel, öffnen und Eurer Erde zur rechten Zeit den geistlichen Regen spenden. Gott und Sein Reich sei über Euch, um Euer Gemüt nach oben zu ziehen; Er sei in Euch, dass Ihr wahrhaft ihn ihm wurzelt; Er sei unter Euch als eine feste Grundmauer; auf die Ihr Euch ständig stützt; Er sei Euch zur Rechten, um Euch nie zu Wollüstigem und Eitlem abbiegen zu lassen; Er sei Euch zur Linken, dass Ihr in Widerwärtigkeiten nicht den Mut verliert; Er sei vor Euch, damit Ihr Euch nach Ihm und nach dem, was noch aussteht, ausstreckt; Er sei schließlich hinter Euch, auf dass Ihr Euch die Furcht vor Ihm vor jedem Rückschritt im Vollkommenheitsstreben zurückhalte!
Aus dem Brief an die Mitbrüder in Coimbra vom 2. März 1545.