Als der Herzog von Gandía, Ex-Vizekönig von Katalonien, einer der Männer, denen Kaiser Karl V. am meisten vertraute, an den Hl. Ignatius schrieb, dass er beschlossen habe, Jesuit zu werden, erhielt er den Rat, seine Entscheidung geheim zu halten, da - so schrieb ihm P. Ignatius von Loyola - "...die Welt nicht die Ohren hat, um eine so aufsehenerregende Nachricht zuhören".
Nach Meinung des Kaisers war die Gesellschaft Jesu ein neuer Orden, der noch immer wenig bekannt war und sogar von vielen kritisiert wurde. Der frühverwitwete Francisco de Borja aber wollte jenem Weg der Demut folgen, der von diesen neuen Aposteln seines Jahrhunderts eröffnet worden war. Noch in seiner Zeit als Vize-König in Barcelona hatte ihn die Nachricht von der päpstlichen Anerkennung dieser Lebensform erreicht. Er hatte aus dem Mund der Freunde, die Iñigo de Loyola dort zurück gelassen hatte, vom Ruf der Heiligkeit des Gründers erfahren. Er hatte eine Beziehung geistlicher Anleitung mit Araoz und Peter Faber begonnen, und es heißt sogar, er habe direkte briefliche Verbindung zu Pater Ignatius aufgenommen.
Der Herzog von Gandía gründete dann in seiner Stadt das Kolleg der Gesellschaft, das sehr bald in eine Universität umgewandelt wurde. Er war 36Jahre alt, als er sich während der Exerzitien, die er unter der Leitung des Rektors des Kollegs machte, entschied, selbst Jesuit zu werden (1546). Im Februar 1548 legte er seine feierliche Ordensprofess ab, während er vom Papst die Genehmigung erhielt, drei Jahre über sein Vermögen zu verfügen, um die Zukunft seiner Kinder sicherzustellen.
Sein Fall ist außergewöhnlich, das sah Pater Ignatius wohl voraus. Er rief ihn anlässlich des Heiligen Jahres (1550) nach Rom. Er wollte Borja's Meinung zu den Konstitutionen der Gesellschaft Jesu einholen, die schon zur Übergabe an die Professen der Gesellschaft - einer von ihnen war Borja - bereitlagen. Drei Monate verbrachte er im Haus der Gesellschaft in Rom; er war noch immer als Herzog gekleidet und wurde von seinem minderjährigen Sohn begleitet; viele römische Adlige und kirchliche Würdenträger zollten ihm ihre Bewunderung und boten ihm eine seiner Würde entsprechende Unterkunft an. Pater Ignatius blickte allerdings weiter voraus als andere; er wollte ihn ausbilden und über den Geist und die Vorhaben des neuen Ordens näher informieren. Als Gerüchte aufkamen, man dächte daran, ihn zum Kardinal zu machen (1551), floh Francisco de Borja aus Rom, um sich in die baskischen Berge zurückzuziehen und von dort aus seinen Stand als Profess der Gesellschaft Jesu bekanntzugeben, auf allen Besitz zugunsten seiner Söhne zu verzichten, seinen Sohn Carlos als Erben seines Herzogtums einzusetzen, sich zum Priester weihen zu lassen und sich auf die Feier seiner Primiz vorzubereiten.
Vor seiner Flucht aus Rom hatte er einen Geldbetrag hinterlassen, damit das Kolleg eröffnet werden konnte, das unter den Jesuiten anfangs seinen Namen trug (Collegium Borja) - es war aber tatsächlich das Römische Kolleg und damit der Vorgänger der heutigen Universität Gregoriana. Und er vergaß auch nicht, die neue Kirche zu planen, die P. Ignatius wünschte (die spätere Kirche "Il Gesù"), die aber erst gebaut werden konnte, als Borja Generaloberer der Gesellschaft - und damit zweiter Nachfolger des Hl. Ignatius - wurde. Seine Primiz in Vergara war ein Großereignis. Der Andrang zu dieser Messe war enorm; die Teilnehmerkonnten den vom Papst aus diesem Anlass gewährten vollkommenen Ablass erhalten. Von da an bestanden Borja's apostolische Initiativen im Stil des neuen Ordens darin, dass er in der Umgebung von Oñate predigte und Ignatius vorschlug, die Einsiedelei von Magdalena in ein Exerzitienhaus umzuwandeln, um von dort aus jene Gebiete zu evangelisieren und außerdem mit Hilfe der Exerzitien neue Apostel und Heilige zu gewinnen. Allein ihn zu sehen und mit der Demut und dem apostolischen Eifer eines Heiligen predigen zu hören, bewegte die Menschen zutiefst, weil alle seine Herkunft kannten und wussten, was er aus Liebe zu Gott aufgegeben hatte. An den Höfen Spaniens und Portugals, bei den Adligen und Regierenden Italiens und selbst vor dem Papstbesaß seine Vermittlung eine unvergleichliche moralische Autorität. In wenigen Jahren vervielfachten sich die Gründungen von Kollegien in Spanien und Portugal; dazukamen einige Universitäten. Ab 1554 war er Generalkommissar der Gesellschaft für die Provinzen auf der Iberischen Halbinsel und gelobte, keine Würdenanzunehmen, es sei denn, er würde vom Papst zur Annahme unter Sünde verpflichtet. Seine wiederholten Reisen auf die Iberische Halbinselführten ihn dort, wo es noch kein Haus der Gesellschaft gab, von Herberge zu Herberge. Die Adeligen und kirchliche Autoritäten schenkten dem Ansehen, der außerordentlichen Klugheit und Tugendhaftigkeit jenes heiligmäßigen Kommissars ihr Vertrauen. Er war Seelenführer der Infantin Juana und leistete sogar dem Kaiser geistlichen Beistand, der ihn in seinem Refugium im Kloster von Yuste als Beichtvater und Testamentsvollstrecker haben wollte. Selbst die heilige Theresa von Avila vertraute ihm ihre geistlichen Probleme an und zeigte sich von seinen Antworten ebenso befriedigt wie von seiner Person, denn er sprach aus eigener geistlicher Erfahrung. Sowohl Ignatius wie Laínez schenkten ihm stets ihr Vertrauen. Er fühlte sich allerdings weder körperlich starkgenug, um nach Indien zu gehen, noch hielt er sich für ausreichend begabt, um die "Kleinsten zu unterrichten"; es war jedoch sein sehnlichster Wunsch, "durch Vergießen seines Blutes für die katholische Wahrheit der römischen Kirche zu sterben". Um ihn von den ungerechtfertigten Verdächtigungen zu befreien, die ihm gewisse Leute in Spanien eingebracht hatten, intervenierte Laínez bei Papst Pius IV., der ihn daraufhin für die Erledigung kirchlicher Angelegenheiten nach Rom berief und ihn zum Assistenten Spaniens an der Kurie der Gesellschaft Jesu machte.
Bald darauf wurde er nach dem Tod von Laínez zum General der Gesellschaft gewählt. Bei der II. Generalkongregation (1565) stimmten 31 von 39 Mitbrüdern für ihn. Beeindruckend war seine Geste bei der Schlusssitzung jener Kongregation: Er bat die versammelten Patres, ihn, nachdem sie ihm schon die Bürde aufgeladen hatten, wie ein Lasttier zu behandeln, und küsste ihnen demütig die Füße, um ihnen die Liebe, die er für sie hegte, zu beweisen.
Die sieben Jahre seiner Leitung der Gesellschaft fielen fast genau mit jenen des Hl. Pius V. in der Führung der Gesamtkirche zusammen. Er war dessen rechte Hand für alle Angelegenheiten der Universalkirche. Unter anderem im Zusammenhang mit der Errichtung zweier Kardinalskongregationen an der Römischen Kurie: die eine sollte sich mit dem Problembereich der getrennten Christen Nordeuropas befassen; die andere war die Kongregation für die Missionen. Als während seines Generalats in Rom zweimal die Pest ausbrach, beauftragte ihn Pius V., die Sorge und Betreuung für die Pestkranken in der Stadt zu organisieren.
Durch seine moralische Autorität bei Philipp II. trug er maßgeblich dazu bei, für die Jesuiten die Türen zur Mission in Lateinamerika zu öffnen. Innerhalb weniger Jahre entsandte er verschiedene Gruppen von Missionaren. Die erste Entsendung, die nach Florida führte, endete mit dem Märtyrertod von P. Martínez; die übrigen Mitglieder der Gruppe mussten nach Kuba und weiter nach Mexikoflüchten. Bei den nachfolgenden Missionsaufträgen in Peru, Brasilien und Mexiko begann sich eine typische Form des Jesuitenmissionars abzuzeichnen: gestützt auf die Kollegien und die dort vermittelten Lehren, sorgten die von Borja entsandten Missionare für die Gründung der Universitäten von Lima und Mexiko; später kam es dann zur Einrichtung der sogenannten Reduktionen. Der Jesuitengeneralerrichtete die Provinzen Peru und Mexiko. Und weder der Märtyrertod, den der Sel. Ignacio de Azevedo und seine 39 Gefährten auf dem Weg nach Brasilien durch die Calvinisten erlitten haben, noch das Martyrium des P. Segura und seiner sieben Gefährten in Florida (1571) ließen ihn verzagen, sondern es gelang ihm sogar, den missionarischen Eifer der Jesuiten noch mehr anzufachen.
In der inneren Leitung der Gesellschaft folgte er dem Auftrag der Generalkongregation, die ihn gewählt hatte, und weitete nach und nach und mit Bedacht die Festlegung der Gebetszeit auf die verschiedenen Provinzen der Gesellschaft aus. Er förderte das geistliche Leben und das Gebet im Geist der Exerzitien und in Bezug auf das apostolische Leben der Gesellschaft, für das er selber Vorbild war, wie man in seinem "Geistlichen Tagebuch" lesen kann. Er kümmerte sich besonders darum, dass jede Provinz ihr eigenes Noviziat erhielt und zwar, wenn möglich, getrennt von den Kollegien. Er nahm den Hl. Stanislaus Kostka in die Gesellschaft auf. Er förderte die Ausbildung und den Dienst des Hl. Roberto Bellarmino, die Volksmissionen und die Marianischen Kongregationen. Und auch wenn er weiterhin Kollegien gründete bzw. förderte - besonders in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Polen und sogar daran dachte, die Pläne des Hl. Ignatius für Gründungen in Konstantinopel, Zypern und Jerusalem erfüllen zu können -, vergaß er nicht die von der II. Generalkongregation erhaltene Empfehlung, nämlich in den schon weiter entwickelten Provinzen einige Professhäuser zu errichten.
Schließlich leistete er dem Papst Gehorsam und brach auf, um den Päpstlichen Kardinallegaten Bonelli auf seiner Mission im Auftrag des Papstes zu begleiten: Es ging darum, die christlichen Könige von Spanien, Portugal und Frankreich zu einen. Durch seine vom Gebet getragene Rede und sein höfliches Auftreten trug er zur geistlichen Beseelung jener Mission bei und benützte auch noch die Gelegenheit, in den Häusern der Gesellschaft, an denen er vorbeikam, einige Probleme zu lösen. Jene Mission hat ihm allerdings das Leben gekostet: Auf der Rückreise zog er sich eine schwere Lungenentzündung zu, die zwei Tage nach seiner Rückkehr nach Rom zu seinem Tod führte.
Wir können mit Fug und Recht bestätigen: Francisco de Borja war ein Vorbild umfassender und getreuer Zusammenarbeit mit dem heiligen Papst Pius V. bei dessen Vorhaben und in der Leitung der Kirche, Vorbild bis zur Aufopferung seines Lebens in der Erfüllung des Vierten Gelübdes der Professen der Gesellschaft Jesu: Das ist eine gute Botschaft für die Gesellschaft aller Zeiten. Und ganz allgemein hat er durch sein Leben bewiesen, dass sich der Geist der Demut und das ständige Gebet nicht der apostolischen Berufung widersetzen, sondern ihr ihre tiefste Kraft verleihen und sie durch das Vorbild und die Dynamik des Evangeliums befruchten, das sie der tätigen Umsetzung der Berufung aufprägen.
Manuel Ruiz Jurado SJ
Pater Manuel Ruiz Jurado SJ (*1930) ist emeritierter Professor der Päpstlichen Universität Gregoriana und war Direktor des Instituts für Spiritualität.